Ethnologische / Volkskundliche Vor- und Nachlässe

Die Verzeichnung in der Nachlassdatenbank Kalliope soll zur besseren Sichtbarkeit und Zugänglichkeit von ethnologischen/ volkskundlichen Vor- und Nachlässen beitragen.

Das Projekt

Nachlässe von Ethnolog*innen und Volkskundler*innen aus verschiedenen Zeiten, Hinterlassenschaften von Vorgängerinstitutionen, Vereinen, Forschungsprojekten und Ähnliches sind häufig nicht zugänglich. Sie lagern in Kellern und Archiven vieler Fachinstitute und Museen, sind nicht oder nur rudimentär erschlossen – und falls doch, ist die Verzeichnung häufig nicht an Standards ausgerichtet – und mit gängigen Rechercheinstrumenten nicht auffindbar. Das Material ist deshalb bestenfalls eingeschränkt nutzbar und seine Existenz außerhalb der jeweiligen Institution weitgehend unbekannt.

Der FID Sozial- und Kulturanthropologie arbeitet an der kursorischen Erfassung wissenschaftlicher Nachlässe aus den ethnologischen Fächern. Zunächst ist ein erster Überblick über deutschlandweit an europäisch-ethnologischen und ethnologischen Institutionen vorhandene Materialien erarbeitet worden. Zusätzlich hat der FID in Berlin und Hamburg exemplarisch tiefergehende Erschließungsarbeiten durchgeführt.

Kalliope

Im Ergebnis werden vorhandene Bestandsinformationen in Kalliope – einer an der Staatsbibliothek zu Berlin nachhaltig institutionalisierten Nachlassdatenbank – eingepflegt. Kalliope bietet einen Metadatenexport, sodass der Import in weitere bibliografische Nachweisinstrumente möglich wird. In der EVIFA-Suche sind fachlich relevante Kalliope-Daten bereits recherchierbar.

Mit diesen Arbeiten soll erstens der Nachweis ethnologischer/ volkskundlicher Nachlässe auch durch summarische Erfassung verbessert werden. Zweitens kann die erhöhte Sichtbarkeit zu gesteigerter Nachfrage führen, die ggf. Drittmittelanträge zur Tiefenerschließung und/ oder Digitalisierung an den besitzenden Einrichtungen rechtfertigt. Unsere Erhebungen ermöglichen zudem Best-Practice-Erfahrungen für weitere Vorhaben. Drittens sollen auf diesem Weg Möglichkeiten für neue Forschung eröffnet werden, nicht zuletzt, weil verteilte Bestände künftig vermehrt auch vernetzt bearbeitbar sein werden. Die Verzeichnung nach gängigen Standards ist hierzu ein erster Schritt.

Exemplarische Erschließung


In Berlin ist der Vorlass von Ute Mohrmann erschlossen worden, der sich in der Landesstelle für Berlin-Brandenburgische Volkskunde (am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin) befindet und den Zeitraum von den 1950er Jahren bis zur Gegenwart umfasst. Ute Mohrmann (*1938) war seit 1961 Mitarbeiterin im Bereich Ethnographie an der Humboldt-Universität – zunächst als Assistentin, später als Dozentin und bis 1993 als Professorin. Im Zuge der Neustrukturierung der Wissenschaftslandschaft der DDR nach der Wende kam es zur Umprofilierung des Bereichs Ethnographie und 1993 zur Neugründung des Instituts für Europäische Ethnologie. Ute Mohrmann wurde betriebsbedingt gekündigt. Danach bekleidete sie Gast- und Vertretungsprofessuren in Wien, Marburg und Kiel und arbeitete ab 1998 in regionalen Vereinen und Ausstellungsprojekten zu Lokalgeschichte, -kunst und „Wende“-Erfahrungen.
Die Unterlagen geben einen detaillierten Einblick in den Lehr- und Forschungsbetrieb im Bereich Ethnographie an der Humboldt-Universität, in Ute Mohrmanns Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten nach der Wende sowie ihre wissenschaftliche Arbeit bis 2020. Neben Lehrveranstaltungsprogrammen mit der entsprechenden Lektüre sowie studentischen Arbeiten beinhaltet der Vorlass eine Fülle von Material bestehend aus Zeitungsartikeln, Broschüren, Fotos, wissenschaftlichen Artikeln und eigenen Aufzeichnungen und Schriften über Alltag sowie Alltagsgeschichte in der DDR, insbesondere zur Feier- und Festkultur (1. Mai, Hochzeit, Jugendweihe usw.), Volkskunst, Kindheit und Jugend, ostdeutschen Industrieregionen und deren Transformation. Ein weiterer großer Teil der Unterlagen betrifft die Abläufe an der HU in der Nachwendezeit, insbesondere die Umstrukturierung oder Abwicklung einzelner Wissenschaftsbereiche. Hier geben umfangreiche Briefwechsel mit Protagonist*innen, Kolleg*innen und Freund*innen Einblick in die Fragen, Spannungen und Schwierigkeiten um ost- und westdeutsche Karrierewege und -enden zu Beginn der 1990er Jahre. Sie belegen zudem einen regen Austausch innerhalb der deutschsprachigen Volkskunde bereits vor 1989. 

Der Vorlass ist bereits vollständig in Kalliope erfasst.

Erfasst wird auch ein Teilnachlass von Richard Thurnwald (1869-1954), der sich bisher weitgehend unzugänglich im Institut für Sozial- und Kulturanthropologie der Freien Universität Berlin befunden hat, und im Anschluss an das Universitätsarchiv der FU Berlin übergeben wird. Thurnwald lehrte u.a. Ethnologie und Soziologie in Berlin, und gründete 1925 die „Zeitschrift für Völkerpsychologie und Soziologie“ (später "Sociologus"). Sein Nachlass befindet sich an unterschiedlichen Orten, u.a. auch an der Yale University. In dem Konvolut befinden sich u.a. 20 Kästen mit Glasplattennegativen, zahlreiche Sonderdrucke sowie Material aus einer Studie zur „Berliner Bevölkerungsstruktur“ aus den frühen 1950er Jahren (Mitarbeit Barbara Pischel).

In Hamburg ist die umfangreiche Korrespondenz von Johan Adrian Jacobsen (1853-1947), der sich im MARKK (Museum am Rothenbaum - Kulturen und Künste der Welt) befindet, auf Dokumentenebene verzeichnet worden. Jacobsen war als Sammler und Händler um 1900 ein wichtiger Akteur in den Erwerbungsnetzwerken der ethnologischen Museen. 1877 kam der gebürtige Norweger nach Hamburg, wo er bald die Bekanntschaft mit dem Tierhändler und späteren Tierparkgründer Carl Hagenbeck machte. Es folgten mehrere Sammelreisen für die Firma Hagenbeck, bei denen Jacobsen nicht nur eine enorme Anzahl ethnografischer Objekte aus aller Welt zusammentrug, sondern zugleich Menschen für die Hagenbeck’schen Völkerschauen in Hamburg und darüber hinaus anwarb. Der Bestand umfasst mehr als 9.000 überwiegend in norwegischer und deutscher Sprache verfasste Dokumente (Briefe, Postkarten, Telegramme, amtliche Mitteilungen usw.), die zwischen 1871 und den 1930er Jahren entstanden sind. Darunter befindet sich sowohl Korrespondenz mit seinen Arbeitgebern, Forscherkollegen, Geldgebern, Verlegern usw. als auch intensiver Schriftwechsel mit zahlreichen Familienmitgliedern. Die Dokumente gewähren einen tiefen Einblick in die museale Erwerbungspraxis des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts und  spiegeln zugleich das kolonial gewachsene Selbstverständnis der europäischen Protagonist*innen wider. Die Erschließung lässt zudem erkennen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Mitteln Forschungs- und Sammelreisen bewerkstelligt wurden und wie die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche jener Zeit diese (sowie das gesamte Wirken Jacobsens und seiner Kollegen) auf verschiedenen Ebenen mitbestimmten.

In Kalliope ist die Korrespondenz Jacobsens nahezu vollständig verzeichnet.

Im Überblick verzeichnet wurde zudem der wissenschaftliche Nachlass des Hamburger Volkskundlers Walter Hävernick (1905-1983). Das umfangreiche Material, das zum Teil im Museum für Hamburgische Geschichte und zum Teil im Institut für Empirische Kulturwissenschaft (ehem. Volkskunde/ Kulturanthropologie) der Universität Hamburg verwahrt wird, dokumentiert sowohl dessen Tätigkeit als Museumsdirektor als auch sein Wirken als Hochschullehrer und Forscher.

Beide Teilnachlässe sind in Kalliope recherchierbar.

Ansprechen

Dr. Sabine Imeri / Koordination
sabine.imeri.1[at]ub.hu-berlin.de

Anna Lukasek / Erfassung Kalliope (abgeschlossen)

Dr. Julia Zenker / Bestände Berlin (abgeschlossen)

Michael Münnich, M.A. / Bestände Hamburg (abgeschlossen)