Berliner Blätter

„Brauner Osten, weiße Westen. Ethnografische Studien zur Hypervisibilität des Ostens in Debatten um das Rechte“. Deadline: 01.10.2021

Zusammenfassung

Beschreibung

Rechtspopulismus, Neo-Nationalismus, Rechtsextremismus und -radikalismus, modernisierte und neue Rechte – die Liste der umschreibenden Analysekategorien ließe sich fortführen und doch bliebe sie unzureichend, um damit gegenwärtige gesellschaftliche Prozesse zu erfassen: Während rechter Terror kontinuierlich tötet, wird das Rechte zunehmend salonfähig, sitzen rechte Politiker*innen in Parlamenten, begegnen uns rechte Überzeugungen in den Medien oder in der eigenen Nachbarschaft, und fordern damit gesellschaftliche Reaktionen und Umgangsweisen heraus.

In einem Q-Tutorium am Institut für Europäische Ethnologie haben Salome Boßmeyer und Luise Böhm begonnen, sich mit diesem Rechten als gesellschaftlichem Phänomen auseinanderzusetzen (vgl. gemeinsamforschen.qt 2018). Daraus entstanden ihre Masterarbeiten, die von Urmila Goel betreut wurden: Salome Boßmeyer hat den Umgang mit Neo-Nationalismus im Feld der Kirchen analysiert; Luise Böhm hat untersucht, wie eine ostdeutsche Stadtverwaltung vor dem Hintergrund des diskursiven Bilds eines braunen Ostens mit Rassismus und Rechtspopulismus umgeht. Urmila Goel wiederum wurde Anfang der 2000er Jahre bewusst, dass in den meisten (westdeutschen) Kontexten mit Deutschland in der Regel nur West-Deutschland gemeint war und setzt sich seither mit dieser impliziten Normsetzung und der Ausblendung des Ostens, insbesondere in der Migrationsforschung, auseinander (vgl. Goel 2010, 2013). Dazu im Kontrast steht die Hypervisibilität des Ostens in Debatten um das Rechte.

Der braune Osten ist ein Bild, das sich seit den Neunzigerjahren hartnäckig in hegemonialen Diskursen hält, unbeeinflusst von zahlreichen Beispielen rechten Terrors und extrem rechter Akteure mit West-Biografien. Nach Kathleen Heft ist hier eine zeitliche und räumliche Ossifizierung des Rechten zu beobachten (vgl. Heft 2018). In einem Land, dessen Selbstbild als offene Demokratie sich in Abgrenzung vom historischen Nationalsozialismus definiert, ist die gegenwärtige Entwicklung von besonderer Bedeutung und bedroht die positive nationale Selbstdarstellung. Zum einen werden rechte Überzeugungen daher aus der Mitte der Gesellschaft an deren illegitimen Rand verschoben, zum anderen wird das Rechte in den Osten Deutschlands projiziert. Angelehnt an Nitzan Shoshan stellt das Bild des braunen Ostens also eine wirkmächtige Externalisierungspraktik dar, die als Normalisierungs- und Abgrenzungsmechanismus auch in den Untersuchungen von Boßmeyer und Böhm deutlich wird. Das Bild des braunen Ostens dient uns als Beispiel dafür, wie gerade in der bundesdeutschen Gesellschaft im Umgang mit dem Rechten die bedrohliche Vergangenheit in das eigene Andere ausgelagert und Kontinuitäten verdeckt werden (vgl. Shoshan 2016).

In unserem Band der Berliner Blätter wollen wir daher ethnografischen Studien Raum geben, die sich in diesem durch das Rechte und den Osten aufgespannten Feld bewegen. Gerade ethnografische Methoden ermöglichen es, den Fokus auf die Alltäglichkeit des Umgangs mit stillen Normen der Zugehörigkeit zu legen und deren Herstellungs- und Wirkungsweisen herauszuarbeiten. Ethnografische Untersuchungen leisten damit einen notwendigen Beitrag für ein intervenierendes Verstehen des rechten Erstarkens.

Beiträge können zum Beispiel folgende Themenfelder betrachten:

  • die Produktion des Bilds vom braunen Osten in hegemonialen Diskursen sowie dessen Wirkmacht und Konsequenzen in Ost- und Westdeutschland
  • die Gleichzeitigkeit des Umgangs mit dem Bild des braunen Ostens sowie mit der Realität von rechter Gewalt in Ostdeutschland
  • rechte Kontinuitäten und Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland
  • staatliche und institutionelle Praktiken und Akteur*innen, die in den Umgang mit und die Kontrolle von rechten Überzeugungen eingebunden sind
  • rechte Ansprachen und Angebote an den Osten und ihre Inszenierung als Stimme der marginalisierten Ostdeutschen
  • historische Blickwinkel auf den Umgang mit dem Rechten in BRD und DDR
  • Gegenerzählungen, Bewegungen und Widerstände sowohl gegen das Bild des braunen Ostens als auch gegen das Rechte in Ostdeutschland

Informationen zur Einsendung:

Bitte senden Sie Ihr Abstract bis zum 01. Oktober 2021 an Luise Böhm.
Das Abstract sollte den Umfang einer DIN A4-Seite nicht überschreiten. Neben einer kurzen Zusammenfassung sollte es die zentrale Fragestellung sowie die empirische Grundlage des Beitrags vorstellen.

Die Berliner Blätter. Ethnographische und ethnologische Beiträge sind eine Publikationsreihe der Gesellschaft für Ethnographie und des Instituts für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Band wird online und im Open Access Format veröffentlicht.

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Luise Böhm

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