Pandemien in der Populärkultur

Call for Papers für einen geplanten Sammelband zu Pandemien in der Populärkultur. Der avisierte Sammelband soll eine Topografie des popkulturellen Wissens um Pandemien und deren Verknüpfungen mit der Covid-19-Pandemie nachvollziehen.

Zusammenfassung

Beschreibung

CfP: Pandemien in der Populärkultur

Arno Görgen, Hochschule der Künste Bern
Eugen Pfister, Hochschule der Künste Bern
Tobias Eichinger, Universität Zürich

Die Covid-19-Pandemie lässt derzeit wortwörtlich der ganzen Welt den Atem stocken. In Zeiten globalisierter Digital-Kommunikation in Echtzeit ist die Krise ein globales Großereignis, an dem nahezu die gesamte Weltbevölkerung gleichzeitig teilhat. Dabei sieht sich dieses Massenphänomen unter dem populären Label "Corona" einer besonderen medialen Herausforderung ausgesetzt: die Infektionsgefahr durch das neuartige Virus lässt sich nicht direkt abbilden, anders als bei der Berichterstattung und öffentlichen Kommunikation etwa über die Anschläge auf das World Trade Center gibt es keine Bilder und Chiffren, die den Problemkomplex der Coronavirus-Krise schnell und unmissverständlich illustrieren und kommunizieren. Der Großteil entsprechender weltweit verbreiteter Bilder zeigt vielmehr mittelbare Folgen und Effekte des eigentlichen Geschehens: leere Straßen und Regale, geschlossene Grenzen, Masken und Schutzanzüge, und schließlich auch ungewohnt große Mengen von Leichenwägen und Särgen. Dabei formen die unzähligen Sondersendungen und -berichte in Zeitungen, im TV und online einen äußerst heterogenen medialen Bilder- und Nachrichtenstrom aus seriösen Hintergrundinformationen, bunten Opferstatistiken, leicht verdaulichen Illustrationen, Fake News und Verschwörungstheorien. Auch durch Messengerdienste verbreitete Memes und einfache Kommentare können in diesem Zuge diskursive Durchschlagskraft entfalten und so den öffentlichen Diskurs und das Wissen um Covid-19 mitgestalten.
Zugleich baut die Genese von neuen Informationen zu Covid-19 auf bereits vorhandenem Wissen und einem Bilderreservoir auf, das sich zu großen Teilen aus dem sozialen Gedächtnis der populärkulturellen Auseinandersetzung mit ansteckenden Krankheiten und Seuchenkatastrophen speisen. In zahllosen Comics, Spielfilmen, TV-Serien und digitalen Spielen werden seit Jahren und Jahrzehnten Diskurse von Ansteckung und Abschottung, von Epi- und Pandemien, von kollabierenden Gesundheitssystemen und gesellschaftlichen Ausnahmezuständen konstruiert, kommuniziert und konsumiert. Dieses unüberschaubare, sich stetig wandelde Netzwerk an popkulturellem Wissen zu ansteckenden Krankheiten knüpft seinerseits an historische Diskurse an, um unbekannte und bedrohliche neue Erfahrungen verständlich zu machen, und sorgt so für eine zeithistorische Rückkopplung der aktuellen Krise.
Einschlägige Hollywoodfilme wie "Contagion" und "Outbreak" führen die Hitlisten von Streamingdiensten an, Fernseh-Dokumentationen zu Robert Koch und Louis Pasteur werden wiederholt und beinahe vergessene Überlieferungen wie „O Du lieber Augustin“, ein Wiener Volkslied, das vom Pestausbruch Ende des 17. Jahrhunderts erzählt, werden aus dem kulturhistorischen Schlummer an die Oberfläche des alarmierten öffentlichen Bewusstseins geholt. Mindestens ebenso spannend wie die erfolgreichen Abrufungen des kollektiven Gedächtnisses sind aber auch die erfolglosen: Gerade das Fehlen einer (populär-)kulturellen Verarbeitung der Spanischen Grippe zeigt heute in aller Deutlichkeit die Gefahren des Vergessens. Dabei gleichen viele der aktuellen Reaktionen auf die Pandemie jenen des vergangenen Jahrhunderts: Quarantäne, Hygienekampagnen gegen offenes Husten, Abstandsgebote und Kontaktverbote sowie Anleitungen zum Selberschneidern von Mund-Nasen-Masken.
Der mit diesem Call avisierte Sammelband soll eine Topografie des popkulturellen Wissens um Pandemien und deren Verknüpfungen mit der Covid-19-Pandemie nachvollziehen. Gesucht werden Beiträge aus dem Bereich der Kultur- und Geschichtswissenschaften, der Kunst-, Film- und Medienwissenschaften, der Medical Humanities, der Medizingeschichte, der Politik- und Gesellschaftswissenschaften, der Public Health und der Medien- und Medizinphilosophie, die sich dem skizzierten Sachverhalt auf theoretischer, historischer wie auch phänomenologischer Ebene nähern.

Mögliche Themen sind unter anderem:

Popkulturelle Einflüsse auf die Berichterstattung zu Epidemien

  • Infografiken als zentrales Instrument der Vermittlung des Unsichtbaren
  • Kurven, Statistiken und andere Visualisierungen abstrakter Daten: Dramatisches Potenzial und popkulturelle Vorläufer
  • Medialer Wettbewerb der Gelehrten: WissenschaftlerInnen, ÄrzteInnen und Pflegekräfte als Popstars
  • Informationelle Pandemie: Narrative Beschleunigung durch Liveticker und Hochfrequenzjournalismus in der Corona-Krise

Krankheit und Epidemien in sozialen Medien

  • Der vergleichende Blick: Popkulturelle Corona-Memes zu Filmen, Spielen und Comics
  • Zur Viralität des medialen Corona-Diskurses
  • Corona-Songs und Parodien (YouTube etc.)
  • Corona-Quarantäne: Popstars at home, Künstler im «home office”, Geisterkonzerte
  • Der wissenschaftliche Podcast als Marke
  • Corona-Verschwörungstheorien in den sozialen Medien

Narrative und Ikonografien

  • Motive von pandemischer Infektion, Übertragung, Isolation, Quarantäne und ihre Spuren im gegenwärtigen Corona-Diskurs:
  • Digitale und analoge Spiele
  • Literatur
  • Film und Serien
  • Comic
  • Genre- und settingspezifische Differenzierungen
  • Moralisches und politisches Framing in popkulturellen Pandemie-Fiktionen
  • Xenophobie
  • Individualismus vs. Kollektivismus
  • Demokratievorstellungen in apokalyptischen Fiktionen
  • Corona als ökologische Bestrafung

Die Rolle der Popkultur für den Umgang mit Pandemien

  • Bilder und Erzählungen von Medizin, Virologie, Epidemiologie, Public Health und Seuchenbekämpfung zwischen Pop und Realität
  • Instrumentalisierung von popkulturellen Tropen, Narrativen und Bildtraditionen in fake news und Verschwörungstheorien
  • Popkultur als gefährlicher Superspreader von Moralisierung, Ressentiments, Diskriminierung, Alarmismus und Fatalismus?
  • Infektionsfiktionen als heilsames Angstmanagement, immunisierende Angstanalysen zur Schaffung und Steigerung einer notwendigen „Fiktionskompetenz“ (J. Franzen)
  • Die Adaption von Popkultur in Public Health-Kampagnen zu Corona
  • Bucketlists zu Corona: Popkulturelle Kanonbildung von Pandemienarrativen
  • Streamingdienste als Therapeutikum sozialer Isolation

Die Rolle der Coronakrise für die Popkultur

  • Die Folgen des Lockdowns für die Popkultur-Industrie (Wertschöpfungsketten und Produktionsabläufe)
  • Solidaritätskampagnen für Kunst- und Kulturschaffende
  • Digitalisierungen des Analogen (Wohnzimmerkonzerte, etc.)

Bei Interesse senden Sie bitte einen Abstract mit max. 500 Wörtern sowie einen Kurz-CV bis zum 22.06.2020 an arno.goergen@hkb.bfh.ch. Bitte verwenden Sie dabei ein gängiges Format (doc, docx, rtf).

Bis zum 30.06.2020 erhalten Sie von uns eine Rückmeldung. Die ausgewählten Beiträge werden dann in ausgearbeiteter Form bis zum 01.11.2020 erwartet. Der Sammelband soll Ende 2021 sowohl als Open Access-Veröffentlichung wie auch als Printausgabe erscheinen. Dazu befinden wir uns in konkreten Verhandlungen mit einem renommierten Verlag.

Für Rückfragen stehen Ihnen die Herausgeber unter eugen.pfister@hkb.bfh.ch, eichinger@ibme.uzh.ch und arno.goergen@hkb.bfh.ch gerne zur Verfügung.

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Eugen Pfister

eugen.pfister[ at ]hkb.bfh.ch

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