Ambivalente Transformationen. „1989“ zwischen Erfolgserzählung und Krisenerfahrung

Der historischen Zäsur um 1989/91 wurde in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit bislang vor allem als erfolgreicher „Friedlicher Revolution“ gedacht. Unwegsames historisches Gelände wurde retrospektiv eingeebnet, Widersprüche wurden geglättet. Die diversen und widersprüchlichen Erfahrungen und Erinnerungen der Vielen, sowohl in Deutschland wie auch in den ostmitteleuropäischen Nachbarländern, fanden kaum Platz.

Zusammenfassung

  • Was Call For PapersAmbivalente Transformationen. „1989“ zwischen Erfolgserzählung und Krisenerfahrung
  • Wann to (Europe/Berlin / UTC100)
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Beschreibung

Ambivalente Transformationen. „1989“ zwischen Erfolgserzählung und Krisenerfahrung (Dresden, 11./12. Nov. 2019)

Veranstalter: Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Zentrum für Integrationsstudien
Bewerbungsschluss: 31. Januar 2019


Inhalte und Ziele:
Der historischen Zäsur um 1989/91 wurde in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit bislang vor allem als erfolgreicher „Friedlicher Revolution“ gedacht. Unwegsames historisches Gelände wurde retrospektiv eingeebnet, Widersprüche wurden geglättet. Die diversen und widersprüchlichen Erfahrungen und Erinnerungen der Vielen, sowohl in Deutschland wie auch in den ostmitteleuropäischen Nachbarländern, fanden kaum Platz: weder in den Aushandlungen einer gesamtdeutschen bzw. europäischen Zukunft, noch in der Erinnerung. Jedoch bestand 1989/91 eine äußerst heterogene und ambivalente Gemengelage: Die frühe Nachwendezeit war einerseits geprägt von Aufbruchseuphorie, Freiheitsrhetorik und der Freude über neu gewonnene persönliche und politische Entfaltungsmöglichkeiten. Andererseits bestimmten der Schock über die „Abwicklung“ der sozialistischen Betriebe sowie die rasche Etablierung kapitalistischer Strukturen und die massenhaften „Privatisierungen“ nahezu alle Bereiche des alltäglichen Lebens. Die Enttäuschung über die gescheiterte Reform in den postkommunistischen Gesellschaften war groß. Zwar beflügelten Konsumverheißungen und ökonomische Versprechungen durch den „Westen“ die durch Mangelwirtschaft geprägten Staaten. Zugleich führten biografische Anpassungsschwierigkeiten und Unsicherheiten, entwertete Erwerbsbiografien und gescheiterte Lebensentwürfe zu Prozessen der Entfremdung, Entsolidarisierung und sozialen Spaltung. Die Transformation der DDR nach westdeutschem Modell führte zum Vorwurf der „Kolonialisierung Ostdeutschlands“  – ein Vorwurf, der auch in anderen ostmitteleuropäischen Staaten infolge neoliberaler Transformationsprozesse erhoben wurde. Gleichwohl waren Kontinuitäten kolonialer Praktiken und Logiken nicht nur auf Westdeutschland beschränkt, sondern auch in der DDR anzutreffen. Gefühle der Kränkung, Demütigung und sozialen Ungleichheit bestimmten nicht nur das Klima der Nachwendezeit. In ihrer Langzeitwirkung tragen sie möglicherweise bei zu einem erstarkenden Nationalismus und Rassismus, zu gesellschaftlicher Desintegration.

Vor diesem Hintergrund widmet sich diese internationale Konferenz in transdisziplinärer Perspektive dem Umbruch von 1989ff. und den Folgeerscheinungen des Transformationsprozesses in Deutschland und seinen ostmitteleuropäischen Nachbarländern, unter Berücksichtigung der gleichzeitigen Ko-Transformation des Westens. Im Fokus stehen die Pluralität und Heterogenität von Erwartungen, Erfahrungen und Erinnerungen – von 1989 bis in die Gegenwart. Der kulturanthropologische und sozialhistorische Zugang mit seiner Betonung von Alltag und subjektiven Deutungs- wie Erschließungshorizonten ermöglicht ein Nachspüren in feinste Verästelungen einstiger und zeitgenössischer Wahrnehmungen, Praktiken und Handlungsspielräume sowohl auf der Mikro- wie auf der Makroebene. Damit ist der Raum für alternative Narrative, Erweiterungen und Differenzierungen der „Erfolgsgeschichte“ von 1989 geöffnet und ermöglicht Einblicke in die tiefgreifenden mentalen und emotionalen Vermächtnisse der Transformation.

Die Organisator_innen bitten um Vortragsvorschläge, die sich mit folgenden Fragekomplexen auseinandersetzen:

Erwartungen:
o    Welche individuellen und kollektiven Vorstellungen, Erwartungen, Sehnsüchte und Hoffnungen, Befürchtungen und Ängste knüpften sich an die politische und gesellschaftliche Systemtransformation?
o    Welche gesellschaftlichen und politischen Zukunftsvisionen wurden schon vor 1989 in den sozialistischen Gesellschaften entworfen?

Erfahrungen:
o    Wie manifestierten sich Prozesse des radikalen und beschleunigten gesellschaftlichen Umbruchs von 1989/91 im Alltagsleben?
o    Welche Erwartungen und Hoffnungen wurden in der Nachwendezeit erfüllt/nicht erfüllt?
o    Welche gesellschaftlichen Gruppen (in Ost und West) profitierten von den jeweiligen Prozessen (wie z.B. Privatisierungen)? Wer waren die „Wendeverlierer“? Welche Narrative und Zuschreibungen bestehen; wer hat die Deutungshoheit darüber?
o    Inwiefern kann die postsozialistische Konstellation als „koloniale“ bzw. „imperiale“ Situation analysiert werden? Wo liegen die heuristischen Möglichkeiten und Grenzen dieser Analyse?
o    Inwiefern sind koloniale Praktiken und Logiken sowohl im sozialistischen als auch postsozialistischen Kontext zu identifizieren?
o    Wie wurden die Herausforderungen der „Transformation“ individuell und kollektiv wahrgenommen, im Alltag gelebt, ignoriert, bewältigt?
o    Wie bedingten sich die jeweiligen Transformationsprozesse in den postkommunistischen Ländern?
o    Lassen sich individuelle und kollektive Erfahrungsmuster infolge von Transformationsprozessen in den postkommunistischen Gesellschaften identifizieren?


Erinnerungen:
o    Wie werden die „Friedliche Revolution“, die Transformation und die Nachwendezeit in Ost und West erinnert?
o    Welche Perspektiven zeitgenössischer Akteur_innen auf das Transformationsgeschehen werden in welchem Kontext verhandelt? Welche Stimmen sind von Gewicht, welche werden überhört?
o    Mittels welcher Chiffren (Bilder, Zeichen, Metaphern, Symbole) wird die Transformation heute öffentlich vergegenwärtigt und erinnert? Wie verhalten sich individuelle Erinnerungen zu geschichtspolitischen Deutungen?
o    Wie manifestieren sich Prozesse kollektiver und nationaler Selbstvergewisserung in der heutigen Erinnerungs-, Geschichts- und Symbolpolitik?
o    Wie wird die Geschichte der Teilung und Wiedervereinigung als ‚Friedliche Revolution‘ in einer transnationalen Perspektive erinnert bzw. in Beziehung gesetzt?
o    Lassen sich gesellschaftliche Langzeitfolgen der Nachwendezeit für die heutigen Gesellschaften ausmachen?

Bewerbung:
Die interdisziplinäre Konferenz richtet sich an Vertreter_innen aus den Sozial- und Geisteswissenschaften (wie Geschichtswissenschaften, Europäische Ethnologie/Volkskunde, Sozial- und Kulturanthropologie, Soziologie, Politikwissenschaften); Bewerbungen von Nachwuchswissenschaftler_innen sind ausdrücklich erwünscht. Die Referent_innen werden gebeten, ihre Forschungsprojekte in 20-minütigen Vorträgen vorzustellen. Vorbehaltlich der Finanzierung ist im Ergebnis der Konferenz ein weiterer Workshop geplant, der die Beiträge diskutieren wird, die zur Veröffentlichung vorgesehen sind. Interessent_innen senden bitte bis spätestens zum 31. Januar 2019 ein aussagekräftiges Abstract (max. 300 Wörter) in deutscher oder englischer Sprache sowie eine Kurzbiografie (max. 300 Wörter) an: transformation@isgv.de.
Eine Benachrichtigung erfolgt im März 2019. Reise- und Übernachtungskosten werden übernommen. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.

Kontakt:
Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde
Bereich Volkskunde/Kulturanthropologie
Zellescher Weg 17
01069 Dresden
transformation@isgv.de

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