„Ästhetiken des Heilens: Arbeit mit den Sinnen im therapeutischen Kontext“

32. Fachtagung der Arbeitsgemeinschaft Ethnologie und Medizin (AGEM) in Kooperation mit dem Institut für Ethnologie der WWU Münster 24.-26.05.2019 in Münster

Zusammenfassung

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Beschreibung

Der Begriff der Ästhetik vereint verschiedene Bedeutungen. Er bezieht sich unter anderem
alltagsprachlich auf Formen menschlichen Ausdrucks zum Beispiel in Kunst, Theater, Musik und
Tanz und deren Bewertungen anhand der Kategorie des Schönen. Näher am ursprünglich
altgriechischen Begriff „aísthēsis“ ist jedoch der Bezug auf die sinnliche Wahrnehmung in
Abgrenzung zu rational-kognitiven Prozessen. Über „Ästhetiken des Heilens“ zu sprechen bedeutet
also, sich auf sinnliche Aspekte der Heilung zu beziehen und diese in eine Theorie der Bedeutung
und der Wirkmechanismen von Heilpraktiken zu integrieren.
Der Begriff bezog sich seit den 1980er Jahren im Kontext des „performative turn“ in den Kultur- und Sozialwissenschaften vor allem auf
symbolische Praktiken zur Bearbeitung psychosozialer Konflikte. Seit der Jahrtausendwende
bezeichnet er auch eine medizinethnologisch ausgerichtete „Anthropologie der Sinne“ und betont,
dass die Fähigkeiten der menschlichen Sinne, Reize der Außenwelt oder des Organismus
aufzunehmen und darauf zu reagieren, zentral für Wahrnehmung und Interaktion im therapeutischen
Kontext sind. Die Bedeutungen und Bewertungen der einzelnen Sinne werden kulturell und sozial
unterschiedlich ausgehandelt; verschiedene Heilpraktiken können unterschiedliche Sinne
ansprechen, verstärken bzw. ausblenden. Forschungen zum Zusammenhang von Kultur und
Sinnlichkeit verweisen darauf, dass es wesentlich mehr als die im Alltagsdiskurs reproduzierten
fünf Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten) gibt. Verschiedene Körperempfindungen
wie z.B. Interozeption, Schmerz, aber auch Empathie und Mediumismus stellen daher für das
Verständnis von Gesundheit, Krankheit und Heilung einen weiteren wichtigen Fokus dar.
Die Überschneidung von religiöser/spiritueller und therapeutischer Praxis ist in diesem
Zusammenhang von besonderem Interesse. Religiös-spirituelle Heilpraktiken erfordern das
Erlernen und die Kultivierung von Wahrnehmungsformen als sinnlich-körperlichen Prozess und als
Verschiebung der Aufmerksamkeit sowie des körperlichen Ausdrucks. So werden Coping-Strategien
und Bedeutungszuschreibungen von Krankheit oftmals nicht kognitiv-rational, sondern körperlichsensorisch
ausgehandelt. Viele aktuell beliebte Heil- bzw. Gesundheitspraktiken wie Yoga,
Meditation und Achtsamkeitstraining richten ihre Aufmerksamkeit auf vielfältige
Körperempfindungen und werden zunehmend auch in den psychotherapeutischen Kontext
integriert. Diese Tendenz eröffnet auch eine Perspektive auf Mechanismen der Institutionalisierung
und Kommodifizierung dieser Praktiken und damit einhergehende Macht- und Marktdynamiken.
Mit wenigen Ausnahmen wird im aktuellen interdisziplinären Diskurs lediglich über die
Verquickung von Kultur, Verkörperung und Emotion gesprochen, ohne die „Black Box“ der
körperlich-sinnlichen Prozesse und Dynamiken zu öffnen. Es bleibt daher bisher relativ
unbeleuchtet, wie Sinnlichkeit und sensorische Manipulation Gesundheitsverhalten und
Therapieentscheidungen innerhalb eines zunehmenden medizinischen Pluralismus und einer
Etablierung von Heilungskooperationen beeinflussen. Aktuell lieferte eine Tagung im September
2018 in Berlin zu „Affective Arrangements“ weitere Ansätze, die eine interdisziplinäre
Auseinandersetzung mit sinnlich-emotionalen Faktoren von (geistiger) Gesundheit, Well-Being,
und therapeutischen Potentialen und Defiziten mit Blick auf kulturelle, soziale, ökonomische und
insbesondere gesundheitspolitische Zusammenhänge sinnvoll erscheinen lassen.
In Anlehnung an die Tagungen „Preparing for Patients“ (2018) und „Preparing for Physicians“
(2019), die die AGEM in Kooperation mit dem SFB Medien der Kooperation an der Universität
Siegen durchführt, möchten wir mit dem Fokus auf „Ästhetiken des Heilens“ an die genannten
Aspekte und Problemstellen anknüpfen und laden zu einer Diskussion der „Arbeit mit den Sinnen“
im Kontext von Gesundheit, Krankheit und Heilung ein. Es soll danach gefragt werden, wie
sensorische Modalitäten die Heilung im Sinne einer Transformation von Wahrnehmung und
Erfahrung des Selbst beeinflussen und wie sie in soziale Beziehungen, Hierarchien, und
ökonomische und politische Dynamiken eingebettet sind. Das Spektrum ist breit gefächert und
integriert jegliche Auseinandersetzung mit sinnlichen Erfahrungen im Kontext von Gesundheit,
Krankheit und Heilung. Die Tagung ist inter- und transdisziplinär angelegt: Kultur- und
SozialwissenschaftlerInnen, MedizinerInnen, PsychotherapeutInnen, PhysiotherapeutInnen,
GesundheitspflegerInnen, Musik- und KunsttherapeutInnen, alternative oder komplementäre
TherapeutInnen sowie PatientInnen und deren Angehörige sind mit ihren Erfahrungen,
Einschätzungen und Expertisen herzlich willkommen.

Mögliche Fragestellungen:
Welche Bedeutung kommt der sinnlichen Wahrnehmung in verschiedenen Heilpraktiken zu?
Inwieweit ist Sinnlichkeit/Ästhetik ein relevanter Faktor für Krankheitserfahrung,
Gesundheitsverhalten und Therapieentscheidung?
Wie werden welche Sinne in verschiedenen Therapieverfahren angesprochen?
Was für (Selbst-)Wahrnehmungsmuster werden generiert und kultiviert?
Welche Rolle spielen Räume, Gerätschaften und Substanzen?
Macht es einen Unterschied, ob man zu Hause, ambulant, oder stationär behandelt wird?
Wie tragen sinnliche Aspekte der Therapie zur Diversifizierung des Gesundheitssektors bei?
Welche sozialen, politischen und ökonomischen Dynamiken beeinflussen diesen Prozess?
Welche Rolle spielen Ästhetiken des Heilens bei der Integration, Komplementarität oder
Konkurrenz verschiedener Gesundheits- und Heilungsangebote?

Tagungssprache: deutsch oder englisch

Die Tagung wird von der Arbeitsgemeinschaft Ethnologie und Medizin (AGEM) in Kooperation
mit dem Institut für Ethnologie der Westfälischen Wilhelmsuniversität Münster ausgerichtet und
von Cora Bender (Uni Siegen), Helmar Kurz (WWU Münster) und Ehler Voss (Uni Siegen)
organisiert.

Die Teilnahme an der Tagung ist kostenlos, Reise- und Unterbringungskosten können nicht
übernommen werden.

Eine Veröffentlichung ausgewählter Beiträge in der Curare – Zeitschrift für Medizinethnologie ist
vorgesehen.

Einreichung von Abstracts auf Deutsch oder Englisch von bis zu 300 Wörtern zusammen mit einer
kurzen biographischen Skizze bitte bis zum 31.01.2019 an:

Helmar Kurz (helmar.kurz@wwu.de)
Institut für Ethnologie
Studtstr. 21
48149 Münster

Kontakt

Nähere Informationen

Helmar Kurz

helmar.kurz[ at ]wwu.de